Volatilität bereitet Unbehagen
Es fehlte in keinem Jahresausblick. Sämtliche Investmentbanken, Fondsmanager und Vermögensverwalter hatten es im Repertoire: Volatilität! Wenn man allerdings die Analysen der letzten Jahre noch im Gedächtnis hat, dann fehlte der Hinweis auf mögliche Kursschwankungen eigentlich nie.
Die Gründe für den Hinweis der Experten auf mögliche, unangenehme Kurskapriolen kamen nicht von ungefähr. Das häufigste Argument für einen Anstieg der Volatilität bezog sich in den Ausblicken auf die Erwartung steigender Zinsen in Folge einer restriktiveren Geldpolitik der US-Notenbank. Damit eng verbunden, zeigten sich die Analysten wegen der explosionsartig steigenden Inflationszahlen besorgt. Auch die weiterhin ungelösten weltweiten Lieferprobleme wurden als Argument für höhere Schwankungen an den Märkten genannt. Und schließlich gab und gibt es geopolitisch äußerst problematische Entwicklungen zwischen den USA, China und Russland.
Doch so leicht, wie der Begriff vielen über die Lippen geht; das Konzept der Volatilität ist keineswegs banal. Es geht nämlich bei der Volatilität nicht einfach nur um das Ausmaß der Schwankungen eines Wertpapiers oder eines Index. Es geht vielmehr um die Schwankung der Rendite des Wertpapiers um einen Mittelwert. Interessant ist ebenfalls die Unterscheidung zwischen der realisierten und der erwarteten Volatilität. Denn dies kann für die Einschätzung der Nervosität der Marktteilnehmer wichtig sein. Die üblichen Kennzahlen, wie etwa der VDAX-New zeigen nämlich die von den Marktteilnehmern erwartete Volatilität an, welche bei plötzlichen Schwächeanfällen an der Börse, wie etwa in den vergangenen Tagen, sprunghaft ansteigt.
Aktuell sieht es so aus, als ob das Gemisch aus all diesen Risikofaktoren den Anlegern weltweit ganz erheblich auf das Gemüt geschlagen ist. Auffällig ist der U-Turn in Bezug auf den Risikoappetit der Investoren. Vor dem Hintergrund der zunehmend mathematisch ausgerichteten Handelsaktivitäten der Banken und Hedgefonds führte der Anstieg der Volatilität, die als Risikomaß in fast allen Konzepten das Ausmaß der risikobehafteten Investitionen steuert, zu einer deutlichen Risikoreduzierung.
Deswegen beklagten sehr spekulative Investments die höchsten Kursverluste. Exemplarisch hierfür stehen die Kryptowährungen. Bis vor kurzem noch hoch gewettet und euphorisch gefeiert, standen Bitcoin, Ethereum & Co. in den vergangenen Handelstagen schwer unter Druck. Runde 50% Kursverlust stehen bei den Schwergewichten der digitalen Währungen seit Mitte November zu Buche und ganz ähnlich sieht es bei den Aktien aus, die im Umfeld der Kryptowährungen angesiedelt sind. Börsenbetreiber, Plattformen und Werte aus der Infrastrukturtechnologie gaben einen großen Teil ihrer Gewinne des vergangenen Jahres wieder ab. Großkapitalisierte Wachstumswerte standen ebenfalls auf den Verkaufslisten. Das politische Säbelrasseln Russlands schockte dann aber auch die Investoren, die im Zuge der Risikoreduzierung auf Aktien setzten, deren Bewertung aufgrund fehlenden Gewinnpotentials eher unspektakulär daherkam. Wie stets, wenn die Volatilität zuschlägt, wächst die Unsicherheit an den Märkten und damit der Anteil der Crash-Propheten proportional zu den Rückschlägen. Ist der Pessimismus gerechtfertigt?
Am wenigsten zu prognostizieren ist – aufgrund der unübersehbaren politischen Dimensionen – sicherlich der politische Konflikt zwischen Russland und der Ukraine. Ob auch diesmal der eherne Börsenspruch vom „Kaufen, wenn die Kanonen donnern“ gelten kann? Möglicherweise kommt ja gar kein traditionelles Militärgerät zum Einsatz. Andererseits haben die Finanzmärkte mehr als einmal bewiesen, dass sie mit politischen Krisen umgehen können. Nur der Fall anhaltender kriegerischer Auseinandersetzungen an der europäischen Ostseite würde wohl mittelfristig den Ausblick für die Börsen verdüstern. Die verbleibenden Risikofaktoren haben sich in den vergangenen Tagen nicht wirklich zum Schlechten entwickelt. Die langfristigen US-Zinsen stehen zwar heute deutlich höher als noch zu Jahresbeginn. Doch damit notieren sie lediglich auf dem gleichen Niveau wie im vergangenen April. Sollte die FED also, so wie sie es in der Vergangenheit stets betont hat, ihre Politik mit Bedacht und Vorausschau beibehalten, dann werden die kurzfristigen Zinsen nicht über die bisher kommunizierten Zinsschritte hinaussteigen, und die langfristigen Zinsen im Laufe der kommenden Monate ebenfalls keine beunruhigenden Werte erreichen. Sollten die großen Technologieunternehmen in der nun beginnenden Berichtssaison in etwa die Erwartungen erfüllen, dann dürfte sich die Volatilität wieder auf einem niedrigeren Niveau einpendeln. Dann dürften auch die vielen algorithmisch programmierten Investmentstrategien wieder einen Schwenk hin zu mehr Risiko signalisieren und die Kurse derjenigen Aktien anziehen, die über starke Wachstumspotentiale verfügen.