Teuer oder wertvoll?

Das Thema „Künstliche Intelligenz“ (KI) schlägt an den internationalen Börsen derzeit hohe Wellen. Aktien, die vermeintlich oder tatsächlich von dem KI-Trend profitieren, verzeichnen teilweise atemraubende Kurssteigerungen. Die einschlägigen Medien überbieten sich in Superlativen und heizen die Stimmung weiter an. Und natürlich schwingt immer die Befürchtung mit, dass diesem Phänomen nur noch eine kurze Restlaufzeit verbleibt und potenziell der Absturz bevorsteht. Reißerisch wird dabei oftmals auf die niemals zuvor gesehenen absoluten Zuwächse bei der Marktkapitalisierung von der Nvidia Aktie verwiesen. Als exzessives Warnsignal gilt hierbei auch die ungewöhnliche Outperformance einer sehr kleinen Gruppe von Technologie-Werten gegenüber der Entwicklung des breiten Aktienmarktes.

Ein warnender Hinweis auf die Entwicklung nach dem Platzen der Internetblase Anfang dieses Jahrtausends fehlt ebenfalls fast nie. Doch steht der Markt tatsächlich kurz vor dem nächsten Crash? Ist die Nvidia Aktie heute vergleichbar mit der Cisco Aktie im Jahr 2000? Ist schon wieder das Jahr 1999? Aktuell drängt sich doch eher der Vergleich mit dem Winter des Jahres 1996 auf.  Am 5. Dezember entstand anlässlich der Jahreskonferenz des „American Enterprise Institute for public Policy Research“ das berühmte „Irrational Exuberance“ Zitat des damaligen FED-Chefs Alan Greenspan. Der Notenbankchef drückte in seiner Rede damit seine Befürchtung aus, dass die Kapitalmärkte die Preise der Aktien durch die Kurssteigerungen der vergangenen Jahre ungerechtfertigterweise aufgebläht hätten, so dass eine langfristige Kontraktion bevorstehen könnte. Der marktbreite S&P 500 Index stand damals bei gut 700 Punkten und hatte sich in den vergangenen 5 Jahren verdoppelt. Der technologielastige Nasdaq Index allerdings hatte für seine letzte Verdopplung nur zwei Jahre benötigt. Daher die aufkommende Unruhe beim damaligen FED-Chef. Bis zum Platzen der Dotcom-Blase sollten jedoch noch weitere gut drei Jahre vergehen, in denen der S&P Index sich erneute verdoppeln und der Nasdaq Index eine geradezu rauschhafte Verfünffachung aufweisen sollte.

Von solchen Entwicklungen ist das aktuelle Szenario am Aktienmarkt und insbesondere der Sektor der Technologiewerten noch weit entfernt. Nach der Kurskorrektur im Jahr 2022 weist der Nasdaq 100 Index eine Verdopplung innerhalb der vergangenen 5 Jahre und seit Mitte 2013 eine Verfünffachung auf. Die entsprechenden Renditezahlen p.a. lauten 14,8 Prozent und knapp 16 Prozent. Das sind zwar „üppige Renditen“, aber keine euphorischen Werte.

Was nicht bedeutet, dass hier und da Kurskapriolen auftreten, die durchaus Parallelen zu den Exzessen vor 25 Jahren aufweisen. Ob etwa die Mitte Januar von IBM mit dem FC Sevilla vereinbarte Zusammenarbeit im Bereich des Scoutings das Ergebnis des Tech-Konzerns drastisch steigern kann, steht wohl noch in den Sternen. Bei der Kooperation geht es im Wesentlichen darum, mit Hilfe eines generativen KI-Tools das Scouting-Team des FC Sevilla auf Basis großer Datenmengen bei der Identifizierung und Bewertung potenzieller Neuzugänge zu unterstützen. Die Anleger honorierten die Meldung dennoch mit einem Kurssprung von fast 20 Prozent.

Das Beispiel zeigt dennoch, welche zum Teil überraschenden Einsatzgebiete das Schlagwort von der „Künstlichen Intelligenz“ umfasst. Auch die angestrebte Bewertung des für März erwarteten Börsengang der Social Media Plattform „Reddit“ darf als Warnzeichen gesehen werden. Die Community wird als Ursprung des „Meme-Aktien“ Phänomens angesehen, welches zu Beginn des Jahres 2021 den spektakulären GameStop Short Squeeze auslöste. Gut 5 Milliarden USD möchten die Eigentümer von einer der am meisten frequentierten Websites in den USA erzielen. Doch das Online-Werbegeschäft ist äußerst volatil, für 2023 weist Reddit rund 90 Mio. USD Verlust aus. Da kann ein Verweis auf „KI“ nicht schaden, dachten sich wohl die Emissionsbanken und sparten nicht mit Verweisen auf den Einsatz künstlicher Intelligenz bei der Optimierung des Anzeigengeschäfts.

Börsenblasen, wie die Internet-Euphorie Ende des vergangenen Jahrtausends, zeichneten sich in der Breite durch völlig abgehobene Bewertungen aus. Auch die jüngere Vergangenheit hat einige spekulative Blasen hervorgebracht, die jedoch über einen relativ kurzen Zeitraum wieder korrigiert wurden. Aktuell finden sich kleinere und mittlere Biotechwerte unter den prozentual größten Kursgewinnern, was jedoch durchaus fundamentale Hintergründe hat. Bei einer Reihe von großen Pharma- und Biotechwerten sind die Produktpipelines in den letzten Monaten stark ausgedünnt. Die Übernahmetätigkeit der letzten Monate zeugt von einer hohen Notwendigkeit der Unternehmen ihre Forschung und Entwicklungsaktivitäten anzutreiben. Aufgrund des stark gedrückten Kursniveaus bei den chronisch defizitären Biotechwerten ergeben sich da durchaus bei einigen Biotechnologie Werten auch dreistellige Kursanstiege, ohne dass dies Anlass zur Sorge vor systematischen Übertreibungen sein sollte.

Trotz dieser anekdotischen Hypes sind die Unterschiede zu den Zeiten vor knapp 25 Jahren erheblich. Und an erster Stelle müssen die Bewertungen der „Zugpferde“ der Aktienhausse genannt werden. Zu Zeiten der „.com“ Welle war es an der Tagesordnung, dass die Shooting-Stars trotz hoher Umsatzsteigerungen ständig Verluste berichteten und auch die profitablen Aktienwerte oftmals dreistellige KGV aufwiesen. Heute sind die Indextreiber nicht nur äußerst profitabel, sondern steigern ihre Gewinne zum Teil stärker als die durchaus beeindruckenden Kursavancen. Während etwa Cisco, als einer der Exponenten der Internetblase, zu seinen Hochzeiten ein KGV jenseits von 300 aufwies, sehen die Zahlen beim aktuell „wichtigsten Unternehmen der Welt“ solide aus. So stieg der Nvidia Nettogewinn zwischen 2016 und 2024 von 614 Millionen USD auf 29.760 Millionen USD. Das bedeutet Faktor 48!! Der Kurs der Aktie stand im Jahr 2016 im Schnitt bei rund 16 und heute bei 775. Das bedeutet ebenfalls Faktor 48! Die Analyse bei Bloomberg bestätigt es. Die Bewertung der Nvidia Aktie aufgrund der erzielten Gewinne liegt trotz der jüngsten Kursexplosion heute nicht höher als vor acht Jahren. Nun ist die Gewinnentwicklung bei Nvidia jedoch in den vergangenen 5 Jahren extrem volatil gewesen, was vernünftigerweise einen Abschlag bei den Gewinnerwartungen in der Zukunft rechtfertigt. Doch selbst wenn dieser üppig ausfällt, ist die Bewertung der Aktie absolut nicht irrational oder übertrieben spekulativ, sondern gut nachvollziehbar und attraktiv.

Von 2002 bis 2013 stieg der Microsoft Gewinn von 5,4 Milliarden USD auf knapp 22 Milliarden USD. Die Microsoft Aktie verharrte dagegen fast 9 Jahre lang auf demselben Kursniveau, bevor sie gegen Ende des Jahres 2013 rund 10 Prozent zulegte. Nach dem Wechsel auf dem Chefposten von Steve Ballmer zu Satya Nadella Anfang 2014 steigt der Gewinn von Microsoft von 22 Milliarden USD auf aktuell 72,4 Milliarden. Der neue CEO erkennt das Potential des Cloud-Geschäfts und investiert bereits 2019 eine Milliarde in ein neues Start-Up mit dem Namen „Open AI“. Die Aktie verzeichnete einen Kursanstieg von 38 USD auf 375 USD. Seit 2002 wuchs demnach der Gewinn von Microsoft mit dem Faktor 13,4 und der Aktienkurs um den Faktor 14. Die Behauptung, dass die Microsoft Aktie aktuell also „viel zu teuer“ ist, kann durch diese Fakten nicht gestützt werden. Aktuell liegt das Kurs-Gewinn Verhältnis der Microsoft Aktie (als größtes börsennotiertes Unternehmen der Welt) für das Jahr 2024 bei rund 32, dies erscheint erstmal nicht billig, ist aber auf Grund des Burggrabens und der dominanten Marktstellung von Microsoft, dem zuletzt starken Unternehmens- und Gewinnwachstums und der zukünftigen signifikanten Wachstumschancen in den spannenden Bereichen Cloud (Azure), Software, Cybersecurity, Gaming und Künstliche Intelligenz, die die Microsoft Aktie vereint, wahrscheinlich gerechtfertigt und beinhaltet je nach zukünftiger Unternehmensentwicklung potenziell auch Kurspotential für die nächsten Quartale und Jahre. Ein solches Bewertung-Niveau ist jedenfalls meilenweit entfernt von den irrationalen und teilweise „absurden“ Höhen der Unternehmensbewertungen in der TMT-Euphorie zu Beginn des Jahrtausends.

Deswegen ist auch die Beantwortung der Frage in der Überschrift dieses Artikels gut zu beantworten. Zwei der drei teuersten Aktien der Welt – gemessen an ihrer Marktkapitalisierung – sind eben nicht teuer, sondern ihren Preis wert. Ob die Kurse in der Zukunft steigen oder fallen ist eine ganz andere Frage. Doch das ist bekanntlich bei allen börsennotierten Aktien so.

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