RÜCKBLICK: Rationale Unaufmerksamkeit
Nachdem sich die positive Stimmung des Monats Juli noch bis etwa Mitte des Augustes halten konnte, ging es für die meisten internationalen Aktienmärkte wieder abwärts. Grund waren erneut Inflationssorgen, Ängste vor weiter steigenden Zinsen und einer daraus folgenden Rezession. Die Anleihemärkte gerieten ebenfalls erheblich unter Druck. Die Umlaufrendite stieg von 0,7% auf 1,5%. Der EUR/USD Wechselkurs unterschritt erstmalig seit 20 Jahren die Parität.
USA: Der Monat startete mit steigenden Aktienkursen, sinkenden Anleiherenditen und einem insgesamt freundlicheren Umfeld, vor allem aufgrund ermutigender Nachrichten rund um die Inflation. Diese stieg im Monat Juli weniger stark als von Analysten erwartet. Der Markt preiste daraufhin eine höhere Wahrscheinlichkeit für eine Verlangsamung der Zinsanhebungen für die folgende Monate ein.
In seiner Rede zum Symposium der Notenbanker in Jackson Hole wurde FED-Chef Jerome Powell allerdings deutlich wie bisher selten. Die Notenbank werde alles tun, um die Inflationsrate wieder in die Zielregion von 2% zu bewegen. Schmerzen, die dadurch verursacht würden, wären unschön, jedoch nicht zu vermeiden. Er begründete dieses Vorgehen mit drei Lehren, die man aus vorherigen Inflationsereignissen gezogen hätte:
- Zentralbanken können erfolgreich Einfluss auf die Preisentwicklung nehmen und sollten es daher auch tun.
- Erwartungen spielen eine entscheidende Rolle für den Pfad der zukünftigen Preisentwicklung.
- Die Zentralbank muss so lange aktiv bleiben, bis der Job erledigt ist.
Insbesondere das Konzept der „Rationalen Unaufmerksamkeit“ wurde von Powell beschrieben. Das Konzept geht auf den Wissenschaftler C. Sims zurück, der in seiner Arbeit davon ausgeht, dass Marktteilnehmer nicht alle verfügbaren Informationen aufnehmen, sondern sich Teile davon aussuchen. Hier erläuterte er, inwiefern die Inflation so zum zentralen Parameter für alle wirtschaftlichen Entscheidungen wird und damit einen Kreislauf anstößt, der von der Zentralbank durchbrochen werden muss.
Auch wenn diese Aussagen plausibel und nicht neu sind, verdeutlichen sie einmal mehr, dass die Gefahr weiterer Zinsüberraschungen im Verlauf des Anhebungs-Zyklus aufgrund der angestrebten Signalwirkung im Bereich der Möglichkeiten liegen.
Ungeachtet dessen verlief auch der letzte Rest der Berichtssaison sehr positiv. Die Unternehmen des S&P500 berichteten rekordverdächtige Ergebnisse (Umsatz +12,1% yoy, Gewinn -9,5% yoy) jedoch wurde die Forward Guidance wie erwartet etwas vorsichtiger.
Europa: In Europa dominierte im August das Thema Energiepreise erneut. Hierbei sind besonders die starken Ausschläge bemerkenswert, welche die verschiedenen Notierungen zuletzt zu verzeichneten. Auch wenn die Gefahr von kalten Wohnzimmern im Winter angesichts der sich schneller als geplant füllenden Gasspeicher scheinbar sinkt, stellt sich die Frage, wie Verbraucher und die sehr produktionslastige Industrie in Deutschland und Europa damit zurechtkommen werden.
An der Zinsschraube wurde im August in Europa nicht gedreht. Wenngleich die Community der Notenbanker beim alljährlichen Treffen in Jackson Hole in diesem Jahr ohne die Präsidentin der EZB Christine Lagarde auskommen musste, wurde sie von Frau Professor Schnabel, der Chefin der Deutschen Bundesbank, würdig vertreten. Sie argumentierte für eine entschlossene Zinspolitik mit kräftigen Zinsanstiegen – ähnlich wie in den USA wurde die Signalwirkung auf die Erwartungen betont. Der Geldmarkt preiste im Nachgang einen signifikanten Anstieg der Wahrscheinlichkeit einer Zinsanhebung > 0,50% ein.
China: Anfang des Monats besuchte die US-Demokratin und amtierende Sprecherin des US-Repräsentantenhauses Nancy Pelosi Taiwan. Die chinesische Regierung reagierte mit großem Unverständnis und begann mehrere Wochen andauernde, großangelegte Militär-Manöver in der Straße von Taiwan abzuhalten, während derer mehrfach der Luftraum Taiwans durchflogen wurde. Auch wenn sich die mediale Aufmerksamkeit in der zweiten Hälfte des Monats wieder anderen Themen widmete, bleibt die Lage angespannt. Führende US-Militärs schätzen das Risiko einer chinesischen Invasion auf der Insel Taiwan innerhalb der nächsten 5 Jahre als sehr hoch ein.
Die chinesische Wirtschaft kämpft zur gleichen Zeit mit der immer noch schwelenden Immobilienkrise, den Folgen der Null-Covid Politik sowie drohenden Rezessionen in den Hauptabsatzmärkten Europa und USA. Um dem zu begegnen, wurden von der Notenbank erneut die Zinsen gesenkt und weitere substanzielle Infrastrukturpakete angekündigt. Mit den USA erzielte China eine Einigung im Transparenzstreit um den Zugang zu Unternehmenszahlen der in den USA gelisteten chinesischen Unternehmen. Der Markt reagierte sehr erleichtert, da seit geraumer Zeit ein Delisting der betroffenen Aktien im Raum stand.