Der Zins ist zurück

Die Umlaufrendite deutscher öffentlicher Anleihen erreichte in dieser Woche mit einem Stand von 0,75% einen 7-jährigen Höchststand. Letztmals notierte das bekannteste Zinsbarometer Anfang Juni 2015 auf einem so hohen Niveau. Allerdings handelte es sich damals nur um ein sehr kurzes Intermezzo steigender Zinsen innerhalb eines intakten Abwärtstrends. Dieser Abwärtstrend erreichte das aktuelle Niveau im Oktober 2014, also nochmals ein dreiviertel Jahr vorher. Und in den USA ist soeben das schlechteste Quartal der Geschichte am Rentenmarkt zu Ende gegangen. Investoren in 10-jährigen USStaatsanleihen erlitten seit Jahresanfang einen Verlust von 11 Prozent! Die Feststellung „Der Zins ist zurück“ darf deswegen mit Fug und Recht verkündet werden. Die Trendumkehr der deutschen mittelfristigen Zinsen begann vor zwei Jahren bei  einem Wert von – 0,8%, lief dann in eine Seitwärtsentwicklung, bevor sich der Anstieg in diesem Jahr rasant beschleunigte. Die Gründe hierfür sind bekannt.

Auch jenseits des Atlantiks ist die Ära der Null- oder Negativzinsen Vergangenheit. Zweijährige USStaatsanleihen rentieren mit 2,4%, 10-jährige Schuldtitel mit 2,75% p.a. Und geht es nach James Bullard, dem Präsident der US-Notenbank in St. Louis und stimmberechtigtes Mitglied im „Federal Open Market Committee“ (FOMC), dem Gremium, welches unter der Leitung von FED-Chef Jerome Powell die Zinspolitik in den USA festlegt, so werden die Zinsen in den Vereinigten Staaten noch ganz erheblich steigen. Allerdings ist Bullard ein bekannter „Falke“, also ein Vertreter einer scharfen AntiInflationspolitik, die jedenfalls derzeit im beim FOMC nicht mehrheitsfähig ist. Die erste Zinserhöhung der US-Notenbank seit Ende 2018 ist für Bullard nur eine Anekdote innerhalb eines weitreichenden Zinserhöhungszyklus. Und bereits der nächste  Schritt der Währungshüter sollte ein „großer“ sein, also 0,5% Zinserhöhung, anstatt der üblichen 0,25% auf der nächsten FOMC-Sitzung im Mai. Schließlich erwarten Bullard und andere einflussreiche „Falken“, dass der Zinserhöhungspfad der FED erst im Bereich von 3,5% endet. Und das womöglich noch in diesem Jahr. Ein Niveau für kurzfristige Zinsen, welches in der Vergangenheit einherging mit Kapitalmarktzinsen um die 5%!

Bullards FED-Kollege bei der Notenbank in St. Louis, Christopher Waller, warnte dann auch am gleichen Tag bereits vor einem „Volcker Moment“, in Anspielung auf den berühmten FED-Chef, der in den frühen 80-er Jahren mit drastischen Zinserhöhungen die ausufernde Inflation bekämpfte, die sich in den USA in der vorangegangenen Dekade aufgebaut hatte. Die Situation sei aktuell nicht vergleichbar und damit gäbe es keine Notwendigkeit die Finanzmärkte mit exzessiven Zinserhöhungen zu schockieren und eine Rezession zu riskieren. Dieser Disput macht das ganze Dilemma der USNotenbank deutlich. Einerseits zeigen die wirtschaftlichen Rahmendaten weiterhin ein sehr hohes Beschäftigungsniveau an. Auf diesem Feld hat die FED – mit ihrem dualen Zielsystem – durch massive Bilanzausweitung und Niedrigzinspolitik damit ganze Arbeit geleistet. Andererseits rauscht die Inflation aufgrund der aktuellen Situation gerade durch die Decke und übertrifft alle Prognosen. Damit würde sich akuter und stringenter Handlungsbedarf ergeben, wären da nicht einerseits der Krieg in der Ukraine sowie die massiven Lockdowns in China und die sich daraus ergebenden Unsicherheiten für die wirtschaftliche Entwicklung in den USA. Zudem sind die exorbitanten Preissteigerungen bislang eindeutig auf umfangreiche Probleme und Stress auf der Angebotsseite zurückzuführen, die sich auch
durch Zinssteigerungen nicht in Luft auflösen würden. Und ob die befürchtete Lohn-Preis-Spirale sich im aktuellen Umfeld in Gang setzt, ist noch lange nicht ausgemacht. Sehr gut möglich also, dass die so massiv eingeforderten Zinserhöhungen zwar die Konjunktur abwürgen, aber auf der Inflationsseite eben keine Wirkung entfalten.

Eine Lose-Lose Situation also, die weder Jerome Powell noch Joe Biden, der sich im November den Zwischenwahlen in den USA stellen muss, herbeiführen möchten. Deswegen wird ein realistisches Szenario eher davon ausgehen, dass die Zinsen in den kommenden Monaten durchaus noch Steigerungspotential besitzen. Dass die FED jedoch in kürzester Zeit die Zinsen über 2% erhöht oder dass die langfristigen Zinsen vom heutigen Niveau nochmals mehr als 3% zulegen, erscheint in dieser Gemengelage unwahrscheinlich. Sollten zudem die Ölpreise, wie von den länger laufenden Terminkontrakten aktuell angezeigt wird, ab Herbst deutlicher sinken, dann könnte sich auch auf der Inflationsseite noch in diesem Jahr wieder eine Beruhigung abzeichnen. Eine Prognose der Zinsentwicklung muss jedoch nicht nur die aufgezeigten Einflussfaktoren berücksichtigen, sondern zusätzlich, dass an den Rentenmärkten zurzeit eine Neubewertung stattfindet, die nicht nur von Leitzinserhöhungen getrieben wird, sondern zunehmend auch von der nachlassenden Nachfrage nach Staatsanleihen der Notenbanken. Somit dürften die Rentenmärkte auch in den kommenden Monaten im Zeichen turbulenter Entwicklungen stehen.

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