STÖTZELS R(H)EINBLICK – (K)ein Blick ins neue Jahr
Der Jahresausklang ist traditionell ein willkommener Anlass den berühmten Blick in die Kristallkugel zu wagen. Anleger interessieren sich dabei nicht nur für konkrete Indexziele, sondern vor allem für die Themen, die das Marktgeschehen im kommenden Jahr prägen werden. Zudem werden gerne die beliebtesten Börsenweisheiten auf die Probe gestellt.
Das vergangene Jahr machte deutlich, dass statistische Wahrscheinlichkeiten und reale Marktverläufe auseinanderfallen können: Nach schwankenden ersten Handelstagen an der Wall Street folgte zunächst eine Korrektur, dann eine deutliche Erholung – ein Hinweis darauf, dass kurzfristige Signale selten den Jahresverlauf determinieren. Insgesamt zeigten sich die Leitindizes robust, wenngleich die Dollarschwäche heimische Anleger belastete. Anhänger saisonaler Börsenweisheiten wie „Sell in May and go away“ verpassten nach dem deutlichen Rücksetzer im April die anschließende Erholung des gesamten Marktes in genau dieser Größenordnung. Vor diesem Hintergrund legen wir Saisonalitäten beiseite und analysieren Lage und Ausblick nüchtern, faktenbasiert und unabhängig von Mythen.
Das finanz- und geldpolitische Umfeld präsentiert sich für die kommenden Monate recht ordentlich. Die US Konjunktur- und die Arbeitsmarktdaten bleiben moderat, sodass in den Märkten weiterhin Spielraum für Zinssenkungserwartungen besteht. Unter diesen Voraussetzungen sind bis zu drei Leitzinssenkungen innerhalb der nächsten sechs bis zwölf Monate plausibel, was Renten und Aktienmärkten zusätzlichen Rückenwind verschafft. Die zuletzt gemessene Kerninflationsrate von 2,8 % signalisiert ein unproblematisches Niveau. Sollte die Zollpolitik der US-Administration in ruhigere Fahrwasser einschwenken, ist mit einem leichten Rückgang der Inflationsrate zu rechnen, was die positiven Zinserwartungen weiter stützen und das makroökonomische Umfeld weiter festigen würde.
Die geopolitische Lage bleibt angespannt, präsentiert sich jedoch derzeit als ausgewogenes Kräfteverhältnis: positive und negative Impulse halten sich weitgehend die Waage. Solange keine deutliche Eskalation eintritt, ist nicht zu erwarten, dass geopolitische Risiken die Marktentwicklung nachhaltig dominieren.
Die Quartalsberichtssaison verlief insgesamt erfreulich, in der Technologiebranche sogar sehr positiv. Gleichwohl enttäuschten realistische Ausblicke der Unternehmen teilweise die hochgeschraubten Markterwartungen, so dass es trotz positiver Gewinnüberraschungen vereinzelt zu kräftigen Kursrückschlägen im Anschluss an Ergebnisveröffentlichungen kam.
Die zentrale Frage für viele Investoren lautet derzeit: Besteht an den Aktienmärkten eine KI Blase – und wenn ja, droht ihr baldiges Platzen? Stimmen aus Politik und Finanzwelt mahnen zur Vorsicht; andere Finanzinstitute sehen zwar hohe Bewertungen, aber keine generelle fundamentale Überbewertung.
Die hohen Investitionen der großen Technologieunternehmen sind kein per se belastbares Indiz für eine spekulative Blase, da wir uns in einer frühen Phase eines tiefgreifenden technologischen Wandels befinden, dessen langfristige ökonomische Auswirkungen sich heute nur schwer quantifizieren lassen. Entsprechend sind punktgenaue Schätzungen des Marktpotenzials mit erheblicher Unsicherheit behaftet, da bei disruptiven Technologien mit exponentiellem Wachstum klassische Prognosemodelle an ihre Grenzen stoßen.
Die finanzielle Substanz vieler Technologieführer ist beträchtlich: Sie finanzieren ihre milliardenschweren KI-Investitionen überwiegend aus stabilen Cashflows und verzeichnen seit Jahren steigende Gewinne. Microsoft, Alphabet, Amazon und Meta dürften 2025 zusammen über 200 Milliarden Euro an Cashflow generieren, und zwar nach Abzug der Kapitalinvestitionen. Damit unterscheidet sich die aktuelle Situation deutlich von der „Dotcom Blase“ zu Beginn dieses Jahrtausends. Gleichwohl bleibt die Transformation selektiv: Nicht jede gehypte KI-Aktie wird sich als langfristiger Gewinner behaupten, Insolvenzen und Phasen erhöhter Volatilität sind zu erwarten. Erinnert sei in diesem Zusammenhang an den „DeepSeek-Crash“ Ende Januar dieses Jahres, als die Veröffentlichung des chinesischen KI-Unternehmens über eine im Vergleich zu den US-Wettbewerbern erheblich bessere „Cost-Performance-Ratio“ die Kurse von Nvidia, AMD und Co. abstürzen ließ. Ebenso wichtig ist jedoch der Hinweis, dass sich die Börsen von den Kursturbulenzen rasch erholten und die US-Aktien letztendlich neue historische Höchstkurse erreichten. Besorgnis erregt jedoch die starke Konzentration des Sektors auf wenige börsennotierte Unternehmen sowie die zunehmende Verflechtung und gegenseitige Kapitalbeteiligung der großen Player. Diese oligopolistischen Strukturen können den Wettbewerb einschränken und die Anfälligkeit des gesamten Sektors aufgrund systematischer Schwachstellen erhöhen.
Am Ende wird sich die Antwort auf die Frage, ob eine vermeintliche KI-Blase an der Börse in näherer Zukunft platzt, daran entscheiden, ob die KI sich als nachhaltiger Gamechanger und globaler Transformationstreiber bestätigt oder ob die hohen Erwartungen rasch enttäuscht werden. Aktuell sehen wir keine belastbaren Hinweise auf Letzteres. Vor diesem Hintergrund bleibt unsere Anlagestrategie auf etablierte Technologieführer fokussiert und wird durch disziplinierte Risikosteuerung ergänzt, um mögliche Übertreibungen und Konzentrationsrisiken abzufedern.
3. Dezember 2025